Beate Rothensee
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Gott, Tod und die Preisliste
Zu den neuen Arbeiten von Beate Rothensee

Das Titelbild des neuen Katalogs von Beate Rothensee, eine am Computer bearbeitete Version der Melencolia von Albrecht Dürer, ist Programm und Thema ihrer hier abgebildeten neuen Werkserie. Auch Titel und Untertitel - Aus dem Künstlerleben. Gott, Tod und die Preisliste – stellen ironische Paraphrasen auf Dürers Aus dem Marienleben bzw. Ritter, Tod und Teufel dar. So wie Dürer sich in seinen Werken als erster deutscher Künstler mit den materiellen Bedingungen seines künstlerischen Schaffens auseinandergesetzt hat, wie seine Melencolia als seelisches Selbstporträt gilt, welches die geistigen und materiellen Produktionsbedingungen der Renaissance in Deutschland spiegelt,  so reflektieren die neuen Arbeiten von Beate Rothensee die Existenz des Künstlers unserer Zeit:
Es geht ihr darum, die widersprüchliche Einheit der geistigen Dimensionen ihres künstlerischen Schaffens mit dessen technischen und ökonomischen Voraussetzungen zu thematisieren und zu gestalten.

Formal spielt die Serie auf die Computertechnologie und ihre Tücken an: Wir sehen uns kryptischen Computerausdrucken gegenüber – das Ergebnis einstmals banaler „Druck-Unfälle“, durch das fehlerhafte Bedienen des Druckers entstanden. Auszüge aus Arbeits-tagebüchern, Geschäftsbriefen, Anschreiben an Sponsoren, private Notizen, Gedichte, theoretische Exzerpte hat ein alter Drucker durch falsche Druckbefehle „eigenmächtig“ vergrößert, verkleinert, zerrissen, überlagert, geschichtet. Im Ergebnis sind Gedanken und Ideen, Sätze, Satzteile, ja, einzelne Wörter aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissen und vollkommen zufällig neu miteinander und ineinander verwoben. Hochgeistige Reflexionen über Gott und den Tod vermischen sich mit nüchternen Zeugnissen alltäglicher Lebensbewältigung.
Die so entstandenen Textfragmente sind auf unterschiedlichste Papiere und Folien kopiert und in Form von Collagen und Montagen zu entsprechendenden sinnbildlichen Kontexten verarbeitet. Das, was ursprünglich „per random“, entstanden ist, fügt sich zu einer neuen visuellen Einheit zusammen, in welcher die inhaltlich und geistig extrem gegensätzlichen, doch für das Überleben gleichermaßen fundamentalen Aspekte des (Künstler)lebens spannungsreich synthetisiert werden.

Zu einzelnen Arbeiten der Werkserie:

In der Arbeit Einige Aspekte(ursprünglich ein Pressetext zu den eigenen Arbeiten) wird das Geflecht unterschiedlicher inhaltlicher Aspekte formal durch ein Gewebe verschiedener Textstreifen dargestellt.
Die Arbeit Transzendentaler Konstruktivismuszeugt von kunsttheoretischer Reflexion, von der Auseinandersetzung mit den eigenen Stilmitteln und Verbeugung vor den künstlerischen „Ahnen“ (der Name und das Programm Malewitschs tauchen im Hintergrund ebenso auf wie der Begriff Wahrheit).
In Ich kreise um Gott wird die Gottsuche Rilkes (Zitat aus dem Stundenbuch) kontrastiert mit der Verneinung Gottes im zeitgenössischen Kunstdiskurs: „Es gibt keinen Gott... was es gibt, ist das Verlangen nach Gott. Gott ist eine menschliche Hilfskonstruktion, weil es das Verlangen nach Totalität gibt.“ (Kunstforum Bd 140, S.334)
Das Thema Gott wird aufgegriffen in Gott 2004 als gleichzeitig lakonische und universelle Anrufung. Hier wird das Gottesbild verdüstert und unkenntlich gemacht durch eine streifige OHP-Folie – eine Anspielung auf die Begegnung Moses´ mit Gott, bei der sich letzterer in einer Wolke verhüllte. In Der Tod ist großspiegeln die inhaltliche und die formale Ebene ander: der ursprünglich in den Computer eingegebene Text reflektiert inhaltlich die Zu-sammenhanglosigkeit des Lebens und die Fragilität und Verletzlichkeit der menschlichen Existenz. Auf der künstlerischen Ebene findet dies seine Form darin, dass Textzeilen abrupt abbrechen und auseinandergeschnitten werden. In Mitten im Lebenwerden die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der inhaltlichen Aussage verstärkt durch formale Auflösungs-erscheinungen wie Verwischungen der Druckerschwärze, Abbrechen des Textes, Zäsuren. In der Arbeit Schwarze Preislisteist die materielle Arbeitswirklichkeit im Vordergrund als Auflistung von Galeriepreisen zu erkennen. Dahinter scheint schemenhaft die „Vita“ durch – das Künstlerleben als permanenter Kampf um wirtschaftliche Existenz. „Transformation“ im Hintergrund deutet in diesem Kontext auf die überlebensnotwendige Umwandlung von Geist in Geld hin.

Die teleologischen Betrachtungen der Arbeit Psalm 39 werden unterbrochen von der Arbeit Preisliste, 2003 – hier zeigt sich, wie metaphysische Zustände auf wirtschaftlichen Pragmatismus prallen, wie nahe aber auch das Geistige und das Profane beieinander liegen können. In dieserArbeit wird der wiederholte Begriff „gerahmt“ optisch durch eine fensterartige Folie akzentuiert. Gedruckt auf Packpapier spricht die Arbeit den Komplex der Verwertungsbemühungen an, der geschäftlichen Korrespondenz, des Verpackens von Bildern und Katalogen – einen Aspekt also, welcher einen großen Teil der alltäglichen Künstlerarbeit ausmacht. Damit wird angedeutet, welchen Preis der Künstler selbst für seine Arbeit zahlt: von Zerreißproben erzählen die zerschnittenen Blätter: Was kostet Kunst – den Künstler?
In allen Arbeiten der Serie bleibt das Bemühen zu erkennen, aus den disparaten und sich gelegentlich scheinbar ausschließenden Elementen des Künstlerlebens eine neue „Schönheit“ entstehen zu lassen, eine Synthese herzustellen. Dafür stehen nicht zuletzt die verwendeten Materialien, welche die Teile neu miteinander verbinden. Glasplatten, Klebe- und Klarsichtfolien gestatten neue „Einsichten“. In Die Zusammenhanglosigkeit werden unterschiedliche Ebenen durch Klarsichtfolie und Acrylglasscheibe zusammengefasst. Die erste Schriftebene befindet sich vor der Glasscheibe; sie wirft einen Schatten auf den Bildhintergrund, wo der Text ein zweites und drittes Mal erscheint. Sein und Schein changieren miteinander. Wenn die Ausgangstexte vom Tod sprechen, aber auch davon, dass die Zusammenhangslosigkeit der Welt womöglich durch Kunst transzendiert werden kann, so entwickelt das neue Konstrukt hier tatsächlich eine ganz spezifische Schönheit (Emanzipation durch Schönheit).

Aus der Nähe des Profanen mit dem Geistigen im Künstlerleben kann sich gelegentlich eine unfreiwillige Komik ergeben. So schließt der Katalog Mit freundlichem Gruß mit einer augenzwinkernden und humorvollen Arbeit unter Verwendung eines Fragments, das aus einem Bewerbungsbrief an eine Galerie stammt.Die Werkserie Aus dem Künstlerleben. Gott, Tod und die Preisliste reflektiert die schwierigen Produktionsbedingungen unter denen ein Künstler arbeitet, die vielfältigen Verwertungs-bemühungen, die er aufbringen muss, um seine Existenz zu sichern, die Abhängigkeiten, in denen er sich dabei bewegt. Doch nicht nur der oftmals unverhältnismäßige Aufwand, das notwendige, häufig als fremdbestimmt empfundene Selbstmanagement werden thematisiert, sondern zugleich auch die Liebe zur Kunst und zur Welt, die Sorgfalt der Künstlerin und ihre innere Notwendigkeit, die Details ihrer Lebenszusammenhänge zu reflektieren und zu neuen Einheiten zu transformieren (die Zusammenhanglosigkeit der Welt in der Kunst transzendieren).

Barbara Töpper - Fennel

 

 

 

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